Vor zehn Jahren bewohnten meine Frau und ich in Hannover, in einer auf den Maschsee mündenden Strasse, eine Penthousewohnung. Es war schön da! Wir hatte massig Platz, der Vermieter war sehr korrekt und unsere Putzfrau nahm uns die ungeliebten Arbeiten ab, inkl. Bügelwäsche. Letzteres fand meine Frau besonders wichtig und schön. Es war eigentlich alles im grünen Bereich, bis... ja, bis ich auf die Idee kam das ich nun alt genug für ein eigenes Haus sei!
In einem Punkt waren wir uns sehr schnell einig, ein freistehendes Haus sollte es sein und, um Gottes Willen, kein Neubau! Wir wollten was altes, etwas mit Charme, Tradition und Fachwerk. Da wir es beide nicht so mit finanziell unüberschaubaren Risiken haben, schauten wir nach einem Haus "mit Arbeit dran", das in Rekordzeit abgezahlt wäre. Damals hatte ich noch ein Baugeschäft und ohnehin im Winter immer wieder mal Kapazitäten in der Firma frei, die ich sinnvoll nutzen wollte. Ach so, es sollte natürlich auch eine Scheune fürs Hobby dabei sein und ein oder zwei Wohnungen zum Ausbauen und Vermieten wären auch schön.
Gesagt, gesucht, gekauft! Das Haupthaus datiert auf 1642, der "Rest" ist etwas neuer. Ruck zuck war unsere schöne Stadtwohnung gekündigt und die Umbauten in der vorhandenen Wohnung (über der Scheune) sollten innerhalb der Kündigungsfrist erledigt sein. Brav und artig ließen wir unsere Umbaupläne zeichnen und reichten sie ein. Zeitgleich fingen wir an Wände zu entfernen und erste Umbauten vorzunehmen. Die ersten Sachen wurde rüber ins neue Heim gebracht, das eher den Status einer Großbaustelle verdiente, und der finale Umzugstermin rückte unaufhaltsam näher. Gekauft haben wir im November, umgezogen sind wir im März. Mit dem Ausbau der Wohnung sind wir heute noch nicht fertig, aber das wußten wir damals noch nicht. Man gut!
Also der Reihe nach! Nahezu zeitgleich mit unserem Umzug flatterte uns der Behördliche Baustopp ins Haus, Begründung: Der vorhandene Wohnraum ist nie genehmigt worden. Das uns die Kinnlade im freien Fall beinahe das Brustbein geschädigt hätte, könnt Ihr Euch sicherlich vorstellen. Wir waren erst mal platt und... stapelten die Umzugskartons fein säuberlich in einer Ecke auf und stellten zumindest das Wohn- und Esszimmer im Wintergarten auf. Der Frühling war warm, der Sommer noch mehr und so fühlten wir uns gar nicht mal so unwohl.
Während ich den heroischen Kampf mit einem ausgesprochen übereifrigen Bauamtsmitarbeiter aufnahm, fiel in der Zwischenzeit die Entscheidung im alten Haus eine Wohnung "für die Übergangszeit" zu sanieren und dort einzuziehen. Den Begriff "sanieren" habe ich bewußt gewählt, denn es gab eigentlich nichts, was zu gebrauchen gewesen wäre. Wasser, Abwasser, Strom, Fenster, Dämmung, Heizung, Bad, Küche, WC und eigentlich, bei genauerer Betrachtung, alles mußte neu erstehen. In dieser Zeit duschte meine Frau meistens im Krankenhaus, ihrem Arbeitgeber, und ich stellte mich in der Waschküche auf einer Europalette unter die Gardena Gartendusche. So wenig Wasser habe ich in meinem ganzen Leben nicht verbraucht, weder vorher, noch hinterher. Das Wasser war ars..kalt!
Der Sommer kam und ging. Inzwischen war eine Heizung eingebaut und mit ihr auch warmes Wasser kein Fremdwort mehr. Wir hatten inzwischen ein fast fertiges Bad und ein ordentliches WC. Speziell letzteres weiß man erst zu schätzen, wenn man sich eine gewisse Zeit "behelfen" mußte! In unserem ungedämmten Wintergarten genossen wir den bunten Herbst und verfeuerten über einen "nachgerüsteten" Kohleofen das anfallende Bauholz. Der Ofen bullerte munter vor sich hin und strahlte eine anheimelnde Wärme aus.
Die Wohnung wurde langsam fertig. Die Malerarbeiten begannen, die Dielen wurden abgeschliffen und lackiert und erste Möbel hineingetragen. Inzwischen schrieben wir Mitte November und die zwei zusätzlich vor dem Sofa platzierten Ölradiatoren mühten sich vergebens im Verbund mit dem stramm bullernden Ofen und den je zwei Wolldecken über unseren Beinen vergebens ab uns ein minimum an erträglicher Wäre zu liefern. Wir frohren wie die Schneider und zogen mit ein paar Möbeln und dem Fernseher in die Rohbaustelle, für die noch immer der Baustopp galt.
Weihnachten feierten wir dieses Mal außerhalb, einen Baum aufzustellen brachte ich nicht übers Herz. Dafür war unsere Ersatzwohnung zwischen den Feiertagen nahezu fertig und wurde von uns komplett eingeräumt. Leute, ich kann Euch sagen, wir waren endlich wieder in der Zivilisation angekommen und empfanden eine tiefe innere Befriedigung. Es ist ja so geil eine Tür zwischen sich und "der Baustelle" zu haben!
Inzwischen ist Sylvester vorbei, meine Frau auf der Arbeit und ich stehe in der Diele und schaue dem Versiegeler zu, wie er die Bäden dauerelastisch verfugt. Ein irgendwie eigenartiges Knistern, das ich nicht recht zuordnen konnte, ließ mich aufhorchen. Ich ging raus, in den Flur. Dann runter, in die untere Wohnung. Es ist unbeschreiblich, dieses Geräusch. Deutlich zu hören, aber zuordnen konnte ich es nicht. Ich geh also wieder nach oben und sag zum Versiegler: "Frank, komm mal raus aus der Wohnung! Ich weiß nicht was los ist, aber es hört sich komisch an. Irgendwas passiert hier gleich!"
Im nächsten Moment ein Geräusch, als ob Bauschutt durch zehn nebeneinander hängende Schuttrutschen gleichzeitig der Schwerkraft folgt. Wir schauen uns an. Schauen in die Wohnung... Alles sieht aus, wie vorher. Hmmm... Also gehen wir beide ins Paterre, öffnen die Tür und sehen erst mal nur eine undurchdringliche Wand aus Staub! Langsam legt sich der Staub und das ganze Ausmaß des Schadens greift Raum in meinem Kopf.
Was war passiert? Ein dicker Eichenbalken, der die Decke zum ersten OG trug, ist im Laufe der Jahrzehnte kopflos geworden und ruhte Gott weiß wie lange schon auf dem Türrahmen, den ein Mitarbeiter weisungsgemäß kurz vor Feierabend entfernt hatte. Mit ihm kanen die ersten drei-vier Meter Dielendecke komplett runter und wir hatten freie Sicht auf den frisch verlegten Dielenboden unserer frisch bezogenen Wohnung, von unter - versteht sich! Die Dielen hingen sauber in der Luft. Alles, was wir zum Leben brauchten, war inzwischen in der Wohnung, diese sah unversehrt aus, nur betreten konnten wir sie nicht mehr. Was für eine Schei..e!
Mir blieb nichts anderes übrig, als meiner Frau telefonisch Anweisung zu geben auf gar keinen Fall die Wohnung zu betreten und dann die 70 km in meine Firma zu fahren, um dort Patentsteifen und Kanthölzer zum Abfangen der Dielen zu holen. Wieder zurück schaufelten wir die Diele im Erdgeschoß frei und fingen die Dielen ab. Danach konnten wir endlich wieder in die Wohnung und Duschen, Essen und Schlafen. Es war gegen Mitternacht und wir viel zu k.o., um noch lange über rechtliche oder sonstige Schritte nachzudenken.
Das liegt nun in der ersten Januarwoche neun Jahre zurück und ist nur eine von unzähligen Anekdoten, die wir mit diesem Haus erlebt haben. Mit dem Bauamt haben wir über zwei Jahre gekämft, aber schlußendlich unseren Umbau durchgekriegt und unsere Behelfswohnung bewohnen wir noch immer. In alten Häusern kommt es immer anders, als man es geplant hat. Es wird aber auch nie langweilig, das dürft Ihr mir ruhig glauben!
Gis
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